In der neuen Ausgabe des Zeit Magazins (Nr.36) widmet sich Elisabeth Raether (Autorin von Neue deutsche Mädchen) in dem Artikel „Der weibliche Blick“ dem Thema Frauen und Mode.
So schreibt sie :
„Mode war für Frauen immer ein Ausdrucksmittel und die Möglichkeit, ein Individuum zu sein, bevor die Gesellschaft in Frauen Individuen sah. Männer halten Mode für oberflächlich; in ihren Augen ist Mode eine Verkleidung. Frauen aber haben ein intimes Verhältnis zur Mode, denn sie dürfen mit Mode etwas Inneres, das ein Gefühl oder eine Identität oder ein Selbstbild sein kann. Die Mode sie gehört den Frauen.“
Zunächst einmal leitet sich der Begriff Mode aus dem lateinischen „modus“ (Art und Weise, Regel/Maßstab) ab und wurde im 17.Jhd. aus Frankreich übernommen (Vgl. Waidenschneider, 1989).
Betrachtet mensch die Mode im historischen Kontext, so wird schnell deutlich, dass nicht jede_r einfach an ihr teilhaben konnte.
So waren frühere Gesellschaften durch Kleiderverordnungen gekennzeichnet, die festlagen, was wer tragen durfte.
Dabei war der modische Wandel besonders vom Adel geprägt.
„In seinem Drang, sich selbst darzustellen, Macht und Status zu repräsentieren, betrieb er ungeheuren Luxus mit der Kleidung. Dazu bediente er sich sowohl auserlesener Stoffe als auch überspitzter Formen, die das Privileg, keiner praktischen Arbeit nachgehen zu müssen, zum Ausdruck brachten.“ (ebenda: 17)
Kleiderordnungen wurden aber nicht nur als etwas negatives, aufgezwungenes gesehen, sondern wurden auch in Form von Standeskleidung, bspw. von Professoren, Ärzten und Handwerkern mit Stolz getragen.
Sie befriedigte dabei vor allem Bedürfnisse der Gruppenbildung und –abgrenzung.
Kleiderordnungen enthielten sehr detaillierte Vorschriften über Schnitt, Farbe und Material und die zu verwendenden Mengen und galten für alle Gesellschaftsgruppen.
Entsprechend dieser Verordnungen hatte die Mehrheit der städtischen Bevölkerung seit dem 14. Jahrhundert die Kleidung entsprechend ihrer ökonomischen Verhältnisse angepasst und alles weggelassen, was den Anforderungen der Arbeit im Wege stand.
So trugen die Bauern bis zum 15. Jahrhundert einfache Gewänder, die Männer Hemdkittel und Hosen, die Frauen einteilige Hemdkleider.
Mit der französischen Revolution verschwanden dann die Kleiderordnungen.
„Aus der ständischen Gesellschaft wurde eine bürgerliche, anstelle der alten Klassenordnung trat jedoch eine Geschlechterordnung, die Mann und Frau aufgrund bestimmter charakterlicher Merkmale, die ihnen als naturgegeben zugeordnet wurden, unterschied. Demgemäß trennten sich auch beider Funktionen in der Gesellschaft, der Mann war für die Öffentlichkeit, den äußeren Bereich zuständig, die Frau für die häusliche Zurückgezogenheit, für die Intimität des Heims. Diese Unterscheidung zog natürlich eine modische Trennung nach sich.“. (ebenda: 19)
Ab etwa dem 17. Jahrhundert löste sich in England, im Zuge der Verbürgerlichung der Gesellschaft, die Mode vom Herrschaftsanspruch des Königshauses und fand mit der Anpassung an den Geschmack des Bürgers zu einfacheren Formen.
„Für den Bürger war es indiskutabel, die bunten, reichverzierten Gewänder des Adels zu tragen, die so sichtbar den Müßiggang demonstrierten.“. (ebenda: 19)
Diesen Wandel in der Männermode bezeichnete C.J. Flügel als den großen Verzicht:
„Die Männer verzichten auf ihr Recht auf die glänzendsten, prunkvollsten, exzentrischsten und raffiniertesten Formen des Schmucks, traten es ganz und gar an die Frauen ab und machten so aus der männlichen Bekleidung eine der nüchternsten und schmucklosesten Angelegenheiten . […] Der Mann gab den Anspruch auf Schönheit auf und war nur noch darauf bedacht praktisch zu sein.“. (Waidenschneider 1989: 20-21)
In den Jahren 1789 bis 1795 trennten sich die Frauen nicht nur auf dem Gebiet der Mode von altergebrachten Formen. So dienten sie als Freiwillige in der Armee, gründeten Frauenvereine und der Ruf nach Gleichberechtigung und Wahlrecht wurde laut.
Eine von männlicher Allmacht geprägte Gesellschaft wollte diesem Vorstoß der Frauen allerdings nicht nachgeben und so erfolgte 1795 das Verbot der Teilnahme von Frauen an politischen Versammlungen.
Zur gleichen Zeit kam die ausgeprägteste Form der Chemisenkleider auf. Dies waren einteilige, wie Hemden geschnittene Kleider, aus feinem, fast transparentem Stoff mit einer hohen Taille, die sich unterhalb der Brust befand und von dort aus fiel der Rock lang und glatt zu Boden.
Dieses Kleid brachte den Frauen erstmals seit langer Zeit die völlige Befreiung von Reifen, Gestellen und dem Korsett.
Subjektiv waren sie zwar eine Befreiung, wurden aber objektiv in dem Moment modern, in dem sich die Frau aller Möglichkeiten einer aktiven Teilnahme an der Gesellschaft beraubt sah. Damit wurde der Frau nur noch die Mode mit all ihren Torheiten als Gebiet der Selbstverwirklichung zugestanden. (Vgl. Waidenschlager, 1989)
Dass die Mode für Frauen eine Möglichkeit war, wenn auch eine zwangsweise, als Individuum wahrgenommen zu werden, so gilt aber ganz sicher nicht, dass die Mode diese Funktion schon immer für die Frau hatte. Mensch denke nur an die oben genannten Auswüchse wie Reifen etc., welche die Frauen in ihrer Bewegung stark einschränkten.
Die Frau wurde somit letztlich auf die Mode reduziert und musste vor allem eins – früher wie heute – schön aussehen.
Woher die Autorin Ihr Wissen zieht, dass Männer Mode für oberflächlich halten und warum die Mode nur den Frauen gehört, bleibt schleierhaft. Ich bezweifle diese aufgestellten Behauptungen jedenfalls.
Weiter schreibt die Autorin:
„Aber es sind die vielen Frauen, die Trägerinnen, die täglich ihre Zeit, Fantasie und Intelligenz auf die Mode anwenden. Frauen verstehen, was andere Frauen anhaben, und wollen, dass andere Frauen sehen, was sie anhaben.
»Nur Frauen sehen Frauen angezogen, Männer sehen sie immer nackt«, schreibt die Literaturwissenschaftlerin Hannelore Schlaffer in ihrem Buch Mode, Schule der Frauen. Männer, solange sie keine großen Designer sind, erkennen in der Mode vor allem eine erotische Aufforderung. Boris Becker, leuchtendes Beispiel für männlichen Modeanalphabetismus, sagte, zu Gast bei einer Modenschau in Berlin, ihm gefielen Frauen mit Kurven besser als die mageren Models, er wolle etwas zum Anfassen.“
Es entsteht der Eindruck, dass sich Frauen nur oder vorwiegend über die Mode profilieren können, denn sie wollen, vor allem von anderen Frauen gesehen werden.
Männer werden demgegenüber von einer Literaturwissenschaftlerin so auf ihre Sexualtriebe reduziert, dass sie nicht die Mode, sondern nur den nackten Körper der Frau sehen würden.
Als „leuchtendes Beispiel“ wird Boris Becker genutzt, bei dem mensch sich ehrlich fragen muss, inwiefern er bzw. ein einzelner Mann stellvertretend für alle Männer stehen kann.
Den Vorwurf, die Mode nicht zu sehen, da ihm Frauen mit Kurven besser als Mager-Models gefallen, kann man so auch nicht stehen lassen.
Die Models sind Trägerinnen der Mode und wollen, wie wir ja weiter oben gelernt haben, von anderen Frauen (von Männern wohl nicht) gesehen werden. Aber die Frau an sich will anscheinend nicht gesehen werden, sondern sie will nur, dass mensch die Mode sieht, also den Menschen dahinter wohl ausblenden soll.
Mode steht aber in einem Wechselverhältnis zum Körper. Die Mode betont Körperregionen oder verhüllt/kaschiert sie.
Mode wirkt immer zum Körper und der Körper wirkt durch die Mode.
Und dass einem Mann kurvige Frauen besser gefallen, als Frauen mit Kleidergröße XXS ist erst einmal eine Feststellung, welche Frauen, IHM (nicht allen Männern) in bestimmter Kleidung besser gefallen.
Ein Kleidungsstück wirkt an einer Frau mit Kleidergröße XS anders als an einer mit L oder XXL. Das hat nichts mit den Männern zu tun, die nicht die Mode, sondern anscheinend zuerst den Körper sehen. Ich denke, dass auch keine Frau den Körper hinter der Mode ausblenden kann. Schnell kommt es doch zu wertenden Urteilen, wie jenes, dass die Person, weil sie viel zu dick ist, dieses Kleidungsstück nicht tragen könne (Stichwort Strand-Figur).
Schalten wir den Fernseher ein und haben Formate wie Germanys Next-Topmodel vor Augen, dürfen wir uns fragen, inwiefern der Körper nebensächlich ist – zumal es ja die Traummaße 90-60-90 in der Modelwelt gibt.
Für Frauen und Männer dürfte gleichermaßen gelten, dass sie nicht nur die Mode sehen, sondern auch immer den (nackten) Körper.
Mensch sollte sich aber vielleicht auch fragen, inwiefern die Werbeindustrie mit ihren teilweise stark sexistischen Werbekampagnen dazu beiträgt, den Mann auf nackte Körper zu eichen.
Dass die Autorin aber ein ganz bestimmtes, nicht unbedingt positives Männerbild bzw. Menschenbild hat, zeigen auch ihre nächsten Ausführungen:
„Um einen Mann zu verführen, genügt ja oft ein Lippenstift oder ein Minirock.“
Dieser Satz impliziert in gewisser Weise leider auch, dass es für Frauen ausreicht, gut auszusehen, um einen Mann zu bekommen. Intelligenz oder Charakter sind wohl nicht nötig.
Die Frau wird somit wieder nur auf ihr Aussehen und der Mann auf seinen primitiven Sexualtrieb reduziert. Weiter heißt es:
„Männer tragen Anzug oder Sportswear, also Uniform oder Bequemes, und lehnen für ihre eigene Garderobe alles Schmuckwerk ab, Ornamente, Rüschen, Farben, Muster.“
Und um das Bild abzurunden, schreibt sie weiter:
„ Erst heute wieder, da ein Mann manchmal öffentlich weint und zwei Monate Elternzeit nimmt, darf er auch einen bunten Schal tragen. (Der schwule Mann darf sich kleiden, wie er will, aber er darf ja sowieso alles, solange er nicht darauf besteht, zur Gesellschaft zu gehören.)
Doch ist die Mode nicht deshalb weiblich, weil Männer sie leise verachten. Es ist andersherum: Männer verachten die Mode, weil sie weiblich ist.“
Es stellt sich zunächst die Frage, warum Männer nur Uniform oder etwas Bequemes tragen und auf alles Schmuckwerk verzichten.
Würde es denn den Frauen gefallen, wenn sich Männer modischer kleiden würden, jenseits von Anzug und Hemd-Jeans-Kombi?
Nein, wie die Autorin meint, denn erst heute darf er, wenn überhaupt, mal einen bunten Schal tragen, um dann noch hinzuzufügen, dass der schwule Mann alles darf, da er kein Mitglied der Gesellschaft ist.
Ich denke besonders dieser Zusatz in Klammern und der letzte Satz des Zitats verdeutlichen das generelle Menschenbild der Autorin:
Frauen definieren sich nur über Mode, Männer sind triebgesteuert und verachten alles weibliche (also auch Frauen) und Schwule gehören für sie nicht zur Gesellschaft.
Traurig, dass es so ein einseitiger, mangelhaft recherchierter und aktuelle Entwicklungen ausblendender Artikel in das Zeit Magazin geschafft hat.
Eine Menge Beispiele, dass (junge) Männer nicht nur den Uniform-Look kennen, mag folgender Link belegen: http://lookbook.nu/looks?q=#!gender/guys
Außerdem finden sich auf www.dawanda.com zum Großteil Designerinnen, die schon lange Mode kreieren, welche subtil, glaubwürdig, genussvoll und vor allem selbstbewusst ist.
Der Autorin sei somit ein Blick abseits der Modenschauen angeraten und zudem auch ein Spaziergang in einer Großstadt wie Berlin empfohlen, der ihr zeigen würde, dass es auch Ausnahmen vom modischen Einheitsbrei der Männermode gibt und dass auch Männer sich an der Mode erfreuen.
Leider können die Männer und Jungen aber nicht aus einem so großen und vielfältigen Angebot wie die Frauen wählen, wodurch sie in ihren Möglichkeiten schon etwas eingeschränkter sind.
Dazu kommt dann noch eine geschlechtsspezifische Sozialisation, bei der Mädchen schon früh lernen, sich hübsch zu machen (und hübsch sein zu müssen) und mit der modischen Vielfalt zu experimentieren lernen. (Viele) Jungen lernen demgegenüber, Mode als etwas zu sehen, worum es sich nicht zu kümmern lohnt, zumindest keine großen Experimente zu wagen.
Dass Frauen später das bessere Modegespür entwickeln, ist dann eher eine Folge dieser Sozialisation als eine naturgegebene Fähigkeit.
Wir sollten also allen Geschlechtern die Möglichkeit einräumen, sich u.a. mittels der Mode darzustellen. Denn es ist zum Teil genau diese strikte Trennung in der Mode zwischen den Geschlechtern, die das Geschlechterverhältnis mit reproduziert.
Ich könnte hier jetzt noch sehr weit ausholen, belasse es aber dabei, da der Artikel eh schon viel zu lang geworden ist 😉
In diesem Sinne und für eine buntere Welt: Mode gehört niemanden, der Umgang mit ihr muss gelernt werden und sie sollte vor allem eins – Spaß machen.
Literatur:
Raether, Elisabeth. Der weibliche Blick. In: Zeit Magazin Nr. 36. Welche Mode passt zu mir? (25-30). Zeitverlag. Berlin 2011.
Waidenschlager, Christine. Schrittmacher des sozialen Wandels. In: T.Böhm, B. Lock, T.Streicher (Hrsg.). Die zweite Haut. Über Moden (15-21). Rowohlt Taschenbuch Verlag. Hamburg 1989.
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Vielen Dank für diese GUT recherchierte Gegendarstellung zum ZEIT-Artikel!
Ich glaube, Du tust der Autorin Unrecht, wenn Du sie für homophob hältst. Ich hab die Stelle beim Lesen des Artikels als Kritik empfunden (und wenn es Frau Räthers ehrliche Meinung wäre, hätte sie diese wohl euphemistischer ausgedrückt); als eine lakonische Feststellung des Status Quo.
Ich finde, das sollte ihr schon angerechnet werden, wo man ihr für ihre Sicht auf Männer ansonsten nicht viel anrechnen kann.
Für homophob halte ich die Autorin auch nicht.
Für mich schwingt bei dem Artikel von Frau Raethers einfach eine gewisse, wie ich finde, feindseelige Einstellung gegenüber Männern mit, was z.B. an diesem Satz deutlich wird:
„Doch ist die Mode nicht deshalb weiblich, weil Männer sie leise verachten. Es ist andersherum: Männer verachten die Mode, weil sie weiblich ist.“
Sie schert damit alle Männer über einen Kamm und reduziert somit die Realität wieder auf die üblichen Stereotype.
Denn nicht alle Männer verachten alles was weiblich ist.
Daher fällt es mir wirklich sehr schwer zu glauben, dass ihre Äußerung über schwule Männer als Kritik gemeint war.
Mit ihrem Artikel hat sie darauf aufmerksam machen wollen, dass Männer vorwiegend die Mode für die Frauen kreieren.
Das rechne ich ihr auch an, dass sie dazu anregt, dieses einmal zu hinterfragen.
Ich finde es jedoch schade, dass sie sich dabei etwas im Stil und Ausdruck vertan hat und es am Ende wieder zu einem Gegeneinander-Auspielen der Geschlechter kam.